Direkt zum Inhalt Direkt zur Navigation
Cathrin Pichler Archiv
für Kunst und Wissenschaften

Christian Reder über die Zusammenarbeit mit Cathrin Pichler

Christian Reder

Lichtblicke, Kontrapunkte, Grauzonen
Zur Zusammenarbeit mit Cathrin Pichler

Trotz aller offensichtlichen Gegenpositionen forderte kurz vor seinem frühen Tod ein signifikanter Akteur des Kunstbetriebs wie Martin Roth (1955–2017), der wegen des Ausgangs der Brexit-Volksabstimmung als Direktor des Victoria and Albert Museum zurückgetreten war, zur EU-feindlichen Radikalität angeblich „das Volk“ vertretender Parteien einer „neuen Mitte“ viel mehr „intellektuellen Widerstand“, weil im grassierenden business as usual immer noch „so gut wie niemand aus der Kultur und Kunst gegen den zunehmenden Nationalismus, den xenophobischen Hass aufsteht“ oder das zu verstreut stattfinde. Viel zu wenig erklärt werde „zu welchem kulturellen Selbstmord“ diese Abschottungstendenzen führen, weil „Zentren für eine offene und demokratische Gesellschaft“ kaum gefördert werden.1

Nur mental wirksame – aber dokumentierte – Proteste aus Kunst und Wissenschaft

Dass gerade von Wien aus früh ein solcher intellektueller Widerstand transnational organisiert wurde, war Cathrin Pichler (1946–2012) und dem Kunstverein museum in progress von Kathrin Messner und ihrem Partner Joseph Ortner (1956–2009) zu verdanken, die auf ihre Fassungslosigkeit wegen der vom Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) installierten Regierungs-beteiligung der fremdenfeindlich-rassistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) im Wendejahr 2000 sofort mit einer Initiative reagierten. Denn trotz aller Transformationen blieb die österreichische Normalität tolerierter Geisteswelten der NS-Wiederbetätigung spürbar, heißt es doch dazu in der abstrus unkritischen FPÖ-Gründungsgeschichte des parteinahen Historikers Lothar Höbelt noch 1999 völlig unkommentiert: „Korrumpiert war das NS-Regime zuallererst durch die Niederlage, die es heraufbeschworen hatte.“2 Die über 70 einlangenden Stellungnahmen gegen die Aufwertung einer rechten Agitationspartei wurden als Serie von der liberalen Tageszeitung Der Standard publiziert, um eine Breitenwirkung zu erreichen und die wochenlangen Demonstrationen kritischer Teile der Zivilgesellschaft zu bestärken.

Österreichs Kunst und Wissenschaft war etwa durch Hermann Beil, Sabine Breitwieser, Günter Brus, Franz Graf, Werner Hofmann, Oswald Oberhuber, Doron Rabinovici, August Ruhs, Ferdinand Schmatz, Walter Schmögner, Emmerich Tálos und Heimo Zobernig vertreten. Die internationale Beteiligung reichte von Neal Ascherson, John Baldessari, Steven Beller, Anna und Bernhard Blume, Christian Boltanski, Pierre Bourdieu, Alexander Kluge, Jochen Gerz, Kasper König, Nancy Spero, Carl E. Schorske, Harald Szeemann, Lawrence Weiner und Slavoj Žižek bis zu einer Resolution von über dreißig US-amerikanischen WissenschaftlerInnen. Nachzulesen sind alle damaligen Beiträge und rückblickende Kommentare im zehn Jahre danach erschienenen Band TransAct.Transnational Activities in the Cultural Field. Interventionen zur Lage in Österreich, den ich in der von mir herausgegebenen Edition Transfer bei Springer Wien/New York publizierte.3 Als Dokument zur Zeitgeschichte verstanden, sollte er wenigstens in öffentlichen Bibliotheken greifbar bleiben, weil inzwischen kaum noch mit einem Interesse an dieser die Zäsur kommentierende Erinnerungsarbeit gerechnet werden konnte. Es wurden auch nur etwa 150 Stück verkauft. Schon wegen der Zeitungsserie war das Finanzierungsmodell des museum in progress zusammengebrochen, denn sechs von zehn Unternehmen verweigerten weitere Beiträge, da sie diese Aktion nicht für Kunst, sondern für „politische Agitation“ hielten. Abrupt wurde erkennbar, wie fragil die behauptete Liberalität bei solchen Kooperationen ist, sobald es um exponiertere Stellungnahmen geht, egal wie gewichtig die Beteiligten auch sein mögen. Dennoch konnte das Langzeitprojekt des museum in progress mit neuen Finanzpartnern fortgesetzt werden, den Eisernen Vorhang der Wiener Staatsoper temporär von David Hockney, Cy Twombly, Franz West oder Maria Lassnig gestalten zu lassen, um endlich das Orpheus-und-Eurydike-Bild von Rudolf Eisenmenger zu überdecken, der zu den gefeierten NS-Künstlern zählte.

Hatte nach der Waldheim-Krise die Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000 bekanntlich wieder für heftige Irritationen und Boykottmaßnahmen gesorgt, sieht sich ein liberales Europa inzwischen immer desperater mit solchen Gesellschaften spaltenden Entwicklungen konfrontiert, ob in Frankreich, Dänemark, Ungarn, in der Slowakei, Polen und nun selbst in Deutschland. Nun ist die FPÖ wiederum Koalitionspartner einer ÖVP-Regierung und kann gerade vom Innenministerium aus demonstrieren, wie bedenkenlos sie daran arbeitet, das öffentliche Klima und die Mitte der Gesellschaft deutlich nach rechts zu verschieben. Die Versuche einer gründlichen, halbwegs breitenwirksamen demokratiepolitischen Argumentation laufen jedoch latent ins Leere, offenbar weil mit dem Thema Fremdenfeindlichkeit und Migration immer noch Rückhalt erzeugt werden kann.

Mit Kritik banalisierenden Stimmungslagen dürfte auch zu tun haben, dass das „10-Jahre danach“- Dokument TransAct zum damaligen intellektuellen Widerstand nur noch von zwei Medien wahrgenommen wurde. Im Standard würdigte Gregor Auenhammer diese „Zeugnisse zivilen Ungehorsams“ ausführlich als „ein wertvolles Dokument zur jüngeren Zeitgeschichte“ und als „Plädoyer zur Wachsamkeit“. Im profil betonte Nina Schedlmayer, es werde „ein vielschichtiges Bild der damaligen Situation“ gezeichnet, „die sich so bedrückend wie aufgewühlt darstellt. Der Rückblick darauf macht aber auch die wenig erfreuliche Entwicklung des politischen Diskurses bewusst.“4

Parallelwege und Kooperationen

Das Erscheinen des TransAct-Bandes hat der 2009 unerwartet verstorbene Mitinitiator Josef Ortner nicht mehr erlebt. Auch Cathrin Pichler konnte ihr nachfolgendes, letztes Werk, The Moderns. Wie sich das 20. Jahrhundert in Kunst und Wissenschaft erfunden hat, nicht mehr gedruckt sehen. Nur das Österreichische Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft I. Klasse ist ihr noch verliehen worden, als ambivalente Würdigung ihrer ständig mit der Kulturpolitik in Konflikt geratenen selbstbewussten Haltung als Kuratorin. In für sie charakteristischer Weise verfolgte sie dieses Projekt über zehn Jahre, bis es endlich 2010/11 als Ausstellung im mumok – museum moderner kunst stiftung ludwig wien realisiert werden konnte, was dann in erweiterter Form zu ihrem in meiner Edition Transfer erschienenen Vermächtnisbuch wurde. Im Nachwort schrieb ich – noch zu ihren Lebzeiten –, wie gründlich sie „in legendären Ausstellungen wie Wunderblock. Eine Geschichte der modernen Seele (1989) oder Engel:Engel. Legenden der Gegenwart (1997) latent Beziehungen zwischen Kunst und Wissenschaft erforscht und damit subtil und nuancenreich freigeistig-aufklärerische Positionen bestärkt, gerade weil sie immer viele mitdenkende Persönlichkeiten einbezog. Ihre essenzielle Grundlagenarbeit zu Imagination und Innovationen lieferte stets themenorientierte, Komplexität begreifbar machende Kontrapunkte zu den üblichen, meist auf Einzelleistungen bezogenen Bildpräsentationen des Ausstellungsbetriebs.“5 Ihr ging es stets um ein hochkomplexes Konkretisieren von Zusammenhängen, damit manches in neuer Sichtweise greifbarer wird. Das Hintergrundrauschen kursierenden Wissens bleibt präsent, weil es ihr gelang, strukturierte Zugänge dazu als Erkenntnisnetze bewusst zu machen, mit Objekten, Bildern, Fotos, Texten und Literaturhinweisen als Anhaltspunkten. Alle ihre Projekte sind international und von diversen Fachwelten anerkennend rezipiert worden. So würdigte etwa Die Zeit in einem gründlichen Text von Petra Kipphoff gerade die Kompliziertheit der einbezogenen Verweise ausführlich als der Aufgabe höchst angemessen, weil vielschichtige Uferlosigkeit überaus anschaulich wurde. Ihr Resümee: „Die Ausstellung ‚Wunderblock‘, von dem Kunsthistoriker Jean Clair und der Psychologin Cathrin Pichler und dem Philosophen Wolfgang Pircher in einem gewaltigen Kraftakt zusammengebracht, ist eine unpathetische und wie selbstverständlich vorgebrachte Wiedergutmachung in Sachen Freud. Und sie ist noch mehr: eine Freude für die Augen und eine Lust für den Verstand. Sie ist überschaubar in ihren Dimensionen und endlos in ihren Weiterungen, Fragen, Gedanken und Verfransungen, die den Ort, die Stadt und das Land weit hinter sich lassen. Ein Labyrinth der Wunder, Kuriositäten und Erkenntnisse.“6 Diese Linie fortsetzend hätte Wien zum exemplarischen Ort gründlich bearbeiteter Kunst- und Wissenschaftsbezüge werden können. Dazu kam es aber nur punktuell, etwa durch die analog detailreiche Ausstellung der Universität Wien zu ihrem 650-jährigen Bestehen Der Wiener Kreis. Exaktes Denken am Rand des Untergangs – 25 Jahre nach der Sigmund Freud-Ausstellung.

Erstmals mit Cathrin Pichler zusammengearbeitet habe ich als sie intensiv mit dieser „Geschichte der modernen Seele“ beschäftigt war und ich sie 1988 – wie eine Reihe signifikanter Künstler und Kunstakteure – für mein Buch Wiener Museumsgespräche zur anstehenden Museumsreform und zum Ausstellungsbetrieb befragte, worauf noch zurückgekommen wird. Wegen gemeinsamer Freunde kannten wir uns seit einigen Jahren. Berufliche Parallelwege führten bald zu weiteren freundschaftlichen Kooperationen. Hatten sich doch für uns beide, damals Anfang vierzig, gerade neue Arbeitsschwerpunkte ergeben, die Kunst- und Wissenschaftsbezüge zu Lebensthemen machten obwohl wir nicht aus darauf spezialisierten Arbeitsfeldern kamen. Privates Interesse war entscheidend, ohne schon von einschlägiger, in aller Regel gedankliche Freiheiten einschränkender Professionalität geprägt zu sein.

Nach Jahren am Institut für Konfliktforschung etablierte sie sich damals als in kompetenten Teams arbeitende, risikofreudige Kunstkuratorin, intellektuell höchst anspruchsvolle Projekte als neue Herausforderung betrachtend. Bei mir wiederum war die Berufung an die heutige Universität für angewandte Kunst eine Zäsur, wo ich nach Berufsphasen als Systemanalytiker, Organisationsberater und NGO-Aktivist die neue Lehrkanzel für Kunst- und Wissenstransfer aufbauen sollte, was zu einer Reihe transdisziplinärer und kulturübergreifender Projekte (Syrien, Libyen, Ukraine) und vielen essayistischen Texten zu künstlerischem Forschen, zu Projektkulturen oder kartographischem Denken führte. Meine Universitätsposition sehr beratungsorientiert auffassend, wurde ich über Jahre durch Konzeptstudien und Beraterfunktionen in die von Peter Noever initiierte Reform des MAK, des Österreichischen Museums für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, einbezogen. In der Kommission zur Reform der Bundesmuseen sollte ich ehrenamtlich Strukturierungserfahrungen einbringen. Denn da und dort waren damals vom Routinebetrieb unbelastete Kräfte gefragt, weil Kulturverwaltungen sichtlich Impulse von außen brauchten. Aber selbst ein vorgeschlagenes Budget von umgerechnet 360.000 Euro für internationale Experten ist unter Beifall der Kronen Zeitung abgelehnt worden. Dabei hatte es zu meinen MAK-Studien ausdrücklich geheißen: „Nicht für die Schublade“.7 Zwar konnte etwa der damalige Direktor des Amsterdamer Stedelijk Museums Rudi Fuchs für den MAK-Beirat gewonnen werden, zu tiefgreifenden inhaltlichen Museumskonzepten ist es so jedoch nie gekommen. Es blieb bei einer Schritt-für-Schritt-Politik. Schon dass ich signifikante greifbare Künstler – wie Arnulf Rainer, Kurt Kocherscheidt, Walter Pichler, Peter Weibel, Oswald Oberhuber und Alfons Schilling – in meinem Buch zu ihren Museumsvorstellungen befragte, empfand die Ministerkommission als irritierende Störung. Mit zeitgenössischen Produzenten wollte man nichts zu tun haben. Oft verdeckt agierend, beanspruchten die Museumsdirektoren überall Einfluss zu nehmen. Wie zäh das alles vor sich ging, ist eine eigene Geschichte.

Auch als Cathrin Pichler 1992 von Kulturminister Rudolf Scholten zur ersten Bundeskunstkuratorin bestellt wurde, wurde ich mit einem Evaluierungskonzept beauftragt, um die Zusammenarbeit dieser temporär eingesetzten, autonom über Projekte entscheidenden Personen mit den beteiligten internen Stellen transparenter zu organisieren. Zu ihrem Ausstellungskatalog Engel:Engel. Legenden der Gegenwart habe ich einen Aufsatz beigesteuert. Damals gelang es mir auch, sie als Gastprofessorin für einige Jahre als Bestärkung an mein Institut an der „Angewandten“ zu binden. Zu ihren ständigen Querelen mit Direktor Gerald Matt als Chefkuratorin der Kunsthalle Wien gab es viele Gespräche. Dass sie diese zu unklar abgegrenzte Position aus Selbstachtung aufgab, war schließlich unvermeidbar. Immer deutlicher war in diesen Jahren geworden, dass sie – weithin wegen ihrer Integrität als kompliziert geltend – mit ihrer Gründlichkeit anstrebenden Konsequenz im schnell expandierenden Ausstellungsbetrieb ein ständig auf Schwierigkeiten stoßender Solitär geworden war. Stets bewusst im Hintergrund agierend, hat sie sich nie am üblich gewordenen Kampf um Aufmerksamkeit beteiligt. Statt sich zur unübersehbaren öffentlichen Figur zu stilisieren, wollte sie für ihre Projekte genügend Zeit haben. Deren Ergebnisse sollten für sich sprechen und anschlussfähig sein. Eine strukturell abzusichernde Aufwertung solcher forschenden Intentionen habe ich auch in meinen Konzepten für Museen und Kunsthochschulen empfohlen, als konsequente Projektorientierung, wofür sich die Bedingungen jedoch nur sehr langsam verbesserten, weil signifikante Projekte in aller Regel Nebenaufgaben an Routine orientierter Betriebsabläufe bleiben.

Prekäre Bedingungen: der Alltag von Kuratoren, Kuratorinnen, Freischaffenden

Bezeichnenderweise hat sich das window of opportunity für überfällige Strukturreformen des Kultur- und Universitätsbetriebs, das sich in Wien in den Jahren um 1990 ergeben hatte, bald wieder verengt.8 Selbst die von Reformintentionen getragene Gesprächsbasis mit wichtigen Akteuren wie mit den Ministern Fischer, Busek und Scholten, den Kunstrektoren Oswald Oberhuber und Carl Pruscha, neuen Museumsdirektoren wie Peter Noever oder der energisch agierenden Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk ist rasch wieder von egomanischen Alleingängen und langwierigen Organisationsanpassungen abgelöst worden. Eine autoritärer werdende Betriebsamkeit ließ kaum Raum für ein bestärktes Kuratorenberufsbild und die Profilierung von Nachwuchskräften. Selbst für eine so kompetente essayistische Forscherin wie Cathrin Pichler ergaben sich trotz ihrer vielen internationalen Kontakte nur noch sporadisch Chancen. Integrierbar in das selbstgenügsame Wiener System ist sie trotz ihrer Ausstellungserfolge sichtlich nicht gewesen. Auch meine kulturpolitische Beratertätigkeit endete 1999 mit dem Weißbuch zur Reform der Kulturpolitik in Österreich, offenbar weil danach eher die berechenbare Professionalität von Effizienz- und Marketingdenkern gefragt war.

Symptomatisch blieb der Beginn der Karrieren des späteren Albertina-Chefs Klaus Albrecht Schröder und des schließlich nach diversen Querelen abgesetzten Kunsthallen-Chefs Gerald Matt als enge Mitarbeiter von Kulturstadträtin Pasterk. Peter Noever wiederum scheiterte nach einer glanzvollen Reformperiode des von Grund auf renovierten, neu positionierten MAK an latenten Mitarbeiterkontroversen und finanziellen Eigenmächtigkeiten, die allerdings von den Aufsichtsorganen jahrelang toleriert wurden. Ähnlich endete dann auch die Ära Agnes Hussleins als Belvedere-Chefin, die im Auktionshaus Sotheby’s begonnen hatte. Zu denken geben müsste, dass von Wien aus nur Max Hollein eine Weltkarriere als Museumsleiter gelungen ist, eben weil er gleich nach dem Studium von Betriebswirtschaft und Kunstgeschichte nach New York ging und dann, als Dreißigjähriger, in Frankfurt am Main zum höchstrespektierten Direktor der Schirn Kunsthalle, des Städelmuseums und der Liebieghaus Skulpturensammlung wurde, bevor er 2016 die Leitung der Fine Arts Museums of San Francisco und dann des Metropolitan Museum of Art in New York übernahm. Seine Schwester Lilli Hollein etablierte sich in Wien als Direktorin und Mitbegründerin der Vienna Design Week. Zu erinnern ist daran, dass sich bereits für den Gründungsdirektor des Museum des 20. Jahrhunderts Werner Hofmann (1928–2013) in Wien keine Perspektiven boten und er die Leitung der Kunsthalle Hamburg übernommen hat.

Auch der umtriebige Ausstellungsmacher Peter Weibel operiert stets von mehreren Stützpunkten aus (Karlsruhe, Wien, Linz, Graz) und plädierte in meinen Wiener Museumsgesprächen für eine radikal zeitgenössische Forschungsorientierung: „,Museion‘ im ursprünglichen, alexandrinischen Sinn bedeutete auch so viel wie Bibliothek, Forschungsinstitut, Sammlungen aus den verschiedensten Wissensgebieten. Dahin muss das Museum wieder kommen“, so seine Forderung, „mit dem historischen Anspruch, ein Ort der Aufklärung und der Verkündigung der Menschenrechte zu sein“, auch wenn man sich lächerlich mache, „im Zeitalter der Firmenpromotion durch Museen, im Zeichen des Sponsoring, von so einem historischen Zusammenhang überhaupt zu sprechen“.9 Ein mental sehr mit Wien verbundener Ausstellungsmacher wie Harald Szeemann (1933–2005) blieb als Nomade immer nur gewichtiger Gast. Mit wegweisenden Ausstellungen und als documenta- Leiter hat er auch ohne institutionellen Rückhalt maßgeblich das Kunstgeschehen geprägt. Insistierend pochte er in einem Falter-Gespräch mit mir darauf, dass die Freiheit der Kunst nur genützt werde, wenn sich der Künstler oder die Künstlerin „eine ganze Welt vorstellt. Und die anderen sind halt Dekorateure für Schlafzimmer und Vorzimmer der Zahnärzte oder was es da sonst noch gibt“. Denn er sei zutiefst überzeugt davon, „wenn einer wirklich auf Tutti geht in seinem Leben, dann gibt er auf die Dauer der Gesellschaft mehr“ und das müsse weder „unmittelbar einschlagen oder Erfolg haben“ noch Profit abwerfen.10 Als ich ihm bei unserem letzten Treffen alte Schillingmünzen mit dem pathetisch über Felder schreitenden nackten Sämann schenkte, hat ihn diese Symbolik sehr amüsiert.

Auch Ursula Pasterk äußerte sich zu ihrer Programmatik als Festwochen-Intendantin damals überaus deutlich, denn „der Utopie-Begriff bei Ernst Bloch, über den ich dissertiert habe, hat doch mit Wünschen zu tun, die stärker sind, als die Wirklichkeit und damit, dass darauf bestanden wird, dass es solche Wünsche gibt. Zunächst glaubt man, das Bestehende schon verändern zu können, indem man es einfach beschreibt, indem man es denen da oben hineinsagt. Dann merkt man immer stärker, dass das Hineinsagen allein offenbar nicht allzu viel ändert und dass man auch selbst etwas tun könnte, ohne sich darauf zu beschränken, den anderen immer nur vorzuwerfen, wie schlecht sie alles machen.“11 Wegen ihrer latent als ideologisch diffamierten Kulturpolitik mit dem FPÖ-Plakat „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl, Peymann, Pasterk … oder Kunst und Kultur?“ als massenwirksamem Tiefpunkt, musste sie 1996 als Kulturstadträtin ausscheiden und wurde – ursprünglich eine parteipolitische Quereinsteigerin – nie wieder in eine politische Funktion berufen. Auch für andere kunstnahe Positionen ergaben sich nur bedingt in einen plausiblen Qualitätswettbewerb eingebundene Kontinuitäten. Nur Sabine Haag konnte nach diversen hausinternen Funktionen vorübergehend zur Leiterin des Kunsthistorischen Museums aufsteigen. Verena Formanek wanderte aus dem MAK zur Fondation Beyeler in Basel ab, dann als Sammlungsleiterin ins Museum für Gestaltung Zürich und als Projektmanagerin in das Guggenheim Museum Abu Dhabi. Nach dem Aufbau der Generali Foundation leitete Sabine Breitwieser für einige Zeit das Museum der Moderne in Salzburg. Von Minister Scholtens sechs Bundeskunstkuratoren orientierten sich zwei schließlich nach Deutschland. Markus Brüderlin (1958–2014), der in dieser Funktion u. a. die Zeitschrift Springerin gründete, woran ich beratend mitwirkte, wechselte ebenfalls zur Fondation Beyeler und wurde dann Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg.

Robert Fleck leitete die Deichtorhallen in Hamburg, die Bundeskunsthalle Bonn und lehrt nun an der Kunstakademie Düsseldorf. Wie Cathrin Pichler in Österreich blieben Lioba Reddeker (1961–2011), die zuletzt für den Salzburger Hangar-7 von Red Bull Kunstausstellungen organisierte, Wolfgang Zinggl (Künstlergruppe WochenKlausur, Nationalratsabgeordneter und Kultursprecher der Grünen und nun der Liste Pilz) und Stella Rollig (Direktorin des Lentos Kunstmuseums Linz und nun Generaldirektorin des Belverdere in Wien). Radikal globale Sichtweisen, für die der aus Nigeria stammende Kurator, documenta- und Biennale-Venedig-Leiter Okwui Enwezor bis 2018 im Haus der Kunst München eine Basis fand, mit Ausstellungen, die die westliche Kunstmarktorientierung konterkarierten, wie Postwar. Kunst zwischen Pazifik und Atlantik 1945–1965 (2016/17), fänden in Wien weiterhin kaum einen institutionellen Rückhalt. Auch im 2017 zum „Weltmuseum Wien“ gewordenen Museum für Völkerkunde kann nur anerkannt „Exotisches“ neu präsentiert werden.


CHRISTIAN REDER, geb. 1944 in Budapest, Projektberater, Autor, Essayist, em. Univ.- Prof. für Kunst- und Wissenstransfer an der Universität für angewandte Kunst Wien. Herausgeber der Edition Transfer bei Springer Wien/New York, von Volltext. Zeitung für Literatur und Recherche. Zeitung für Wissenschaft, Wien. Zahlreiche Publikationen zu künstlerischem Arbeiten, Kultur- und Zeitgeschichte, zuletzt zur Zeitgeschichte Deformierte Bürgerlichkeit und Noch Jahre der UnruheAli M. Zahma und Afghanistan (Mandelbaum 2016, 2018).

1 Martin Roth, „Der Traum vom intellektuellen Widerstand“, Die Zeit, Hamburg, Nr. 44, 6. Oktober 2016.

2 Lothar Höbelt, Von der Vierten Partei zur Dritten Kraft. Die Geschichte des VdU, Graz: Stocker 1999, S. 68.

3 Cathrin Pichler, Roman Berka (Hg.), TransAct. Transnational Activities in the Cultural Field. Interventionen zur Lage in Österreich. museum in progress, Wien: Edition Transfer bei Springer 2010.

4 Gregor Auenhammer, „Zeugnisse zivilen Ungehorsams“, Der Standard, Wien, 30. Jänner 2010; Gregor Auenhammer: „Plädoyer zur Wachsamkeit“, Der Standard, Wien, 20./21. März 2010; Nina Schedlmayer: „Ohne Worte“, profil, Wien, 29. März 2010.

5 Cathrin Pichler, Susanne Neuburger, mumok (Hg.), The Moderns. Wie sich das 20. Jahrhundert in Kunst und Wissenschaft erfunden hat, Wien: Edition Transfer bei Springer 2012, S. 321; Cathrin Pichler (Hg.), Engel:Engel. Legenden der Gegenwart, Wien: Springer 1997; Jean Clair, Cathrin Pichler, Wolfgang Pircher (Hg.), Wunderblock. Eine Geschichte der modernen Seele, Wien: Löcker 1989.

6 Petra Kipphoff, „Die Vermessung der Seele. Ausstellung in Wien im 50. Todesjahr von Sigmund Freud: Wunderblock“, Die Zeit, Hamburg, Nr. 20, 12. Mai 1989.

7 Erwin Melchart, „Minister Tuppy zum Krach mit Peter Noever (Angewandte): ‚Brauche keine 5-Millionen-Studie!‘“, Kronen Zeitung, Wien, 3. Februar 1988; „Christian Reders Studie über das MAK liegt vor: Nicht für die Schublade“, Kurier, Wien, 13. November 1991.

8 Beteiligt war ich durch die Studien Neuorientierung von Kunsthochschulen (hg. Oswald Oberhuber u. a., Wien: Falter 1985), die Studien zur Reform des MAK (Ein Museum im Aufbruch Band 2 und 3, hg. Christian Reder, Wien: MAK 1991) oder jene zum „Kunstkuratorenmodell“, Wien 1993 (unveröffentlicht).

9 Gespräch mit Peter Weibel in: Christian Reder, Wiener Museumsgespräche. Über den Umgang mit Kunst- und Museen, Wien: Falter 1988, S. 127–148.

10 Markus Brüderlin, Christian Reder, „Im Gespräch mit Harald Szeemann“, Falter, Wien, Nr. 19/1983.

11 Christian Reder, Armin Thurnher. „Im Gespräch mit Ursula Pasterk“, Falter, Wien. Nr. 25/1984.

12 Gespräch mit Cathrin Pichler in: Christian Reder, Wiener Museumsgespräche. Über den Umgang mit Kunst- und Museen, Wien: Falter 1988, S. 83–92.