Zeig mir dein Grätzl

Ausstellung im Juni 2019

Im Sommer 2017 wurde das „Bildungsgrätzl Josefstadt“ ausgerufen. Ziel eines Bildungsgrätzels ist die Vernetzung von Bildungsräumen und –institutionen um stadtteilbezogen offene und inklusive Bildungsarbeit zu machen. Den Kern des „Bildungsgrätzls Josefstadt“ bilden Volkschule und Neue Mittelschule in der Pfeilgasse 42b sowie Kindergarten und Hort in der Josefstädterstrasse 93-97. Zu den Bildungs-, den Lern- und Lebensräumen eines Stadtteils gehören neben den formalen Bildungseinrichtungen, wie Schulen, auch andere Institutionen und Organisationen, z.B. Büchereien oder Vereine, und auch die Freiräume und das Grätzl selbst. Denn, so hat ein Forschungsteam aus Schüler*innen und Studierenden festgestellt, gelernt wird an vielen Orten, es gibt verschiedene – auch individuelle unterschiedliche – Lernziele und mehr als einen Lernbegriff!

Beziehungsräume

 
Im Sommer- und Wintersemester 2018 richteten Schüler*innen des VS und NMS Pfeilgasse 42b gemeinsam mit Studierenden den Blick auf das Bildungs/-Grätzl vor dem Schultor. Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Mappings“, geleitet von Antje Lehn an der Akademie der bildenden Künste Wien wurden Karten erarbeitet. Diese zeigen weniger ein geografisches Bild des Viertels, als den wahrgenommenen Lebensraum. Wichtiger Ausgangspunkt hierfür war die Auseinandersetzung mit den Schulwegen und Erfahrungen der Kinder.

Schüler*innen an der Arbeit

 
Auf diesen Zeichnungen aufbauend formierten sich über mehrere gemeinsame Vormittage hinweg Forschungsteams aus Studierenden der TU Wien und Schüler*innen. Im Rahmen der Lehrveranstaltung „Sozialer Raum und Diversität – Kindheit und Raum“, geleitet von Korinna Lindinger, beschäftigen diese sich mit fünf unterschiedlichen Schwerpunkten im Bildungsgrätzl: Lernen, Mehrsprachigkeit, Freizeit, Beziehungsräumen und Wohlfühlorten.

Schülerin

 
Das Bildungsinstitutionen übergreifende Projekt „Zeig mir dein Grätzl“ hat sich zum Ziel gesetzt Qualitäten des Stadtraums aus den Perspektiven von Schüler*innen zu untersuchen. Laut der UN-Kinderrechte Konvention haben Kinder und Jugendliche ein Recht gehört zu werden in Angelegenheiten, die sie betreffen. Dennoch werden die Stimmen von Kindern und Jugendlichen oft als erste „überhört“ oder nicht ernst genommen. Daher ist es notwendig Methoden zu entwickeln, in denen Alter und Sprachkompetenzen nicht ausschließend wirken. Fachsprache macht es zum Beispiel vielen Menschen schwer ihre Erfahrungen als „Expert*innen der eigenen Lebenswelt“ einzubringen. 
 
Die Schulen des Bildungsgrätzls haben Erfahrung mit außerschulischen Kooperationen und auch mit Beteiligungsprozessen. Für die Neugestaltung Innenhofes zwischen den Bildungseinrichtungen in der Pfeilgase 42b und der Josefstätterstrasse 93-97 sowie den angrenzenden Wohnhäusern wurde beispielsweise 2013 eine gemeinsame Vision entwickelt. Diesen mehrstufige Prozess begleitete das Josefstädter Büro aap.architekten nach der RAUM.WERTmethode. Viele der von den Schüler*innen eingebrachten Ideen wurden schlussendlich umgesetzt. Besonders das Baumhaus um die Birke im Haupthof steht seither auch als Symbol für einen gelungenen Beteiligungsprozess.
 
Gleichwohl haben partizipative Prozesse auch ihre Fallstricke, indem sie z.B. Erwartungen wecken, die nicht erfüllt werden (können) oder indem sie die Möglichkeiten der Mitbestimmung suggerieren, während Entscheidungen von anderen Instanzen getroffen werden. Potentiale und Risiken müssen Partizipation in Planungs- und Forschungsprozessen kritisch reflektiert werden.
 
Die Entwicklung von dialogischen Kommunikations-, Forschungs- und Präsentationsmethoden war ein wichtiges Ziel des „Zeig mir dein Grätzl“-Projekts. So ist es gelungen gemeinsam ein differenziertes Bild des Freiraums im Bildungsgrätzl Josefstadt, seinen Nutzungen und Potentialen, zu erarbeiten. Gelungen ist auch eine gegenseitige Sensibilisierung für Räume und die Bedeutung von Kindern als Akteur*innen in unserer Stadt. In den Worten zweier Studierender ausgedrückt:
 
„Kinder sehen im öffentlichen Raum mehr als man denkt, sie machen sich über so viele Dinge Gedanken, die Erwachsenen und auch uns, als ausgebildeten Raumplaner*innen, oft gar nicht so bewusst sind. Besonders freut mich, dass ich in diesen wenigen Stunden, die wir mit den Schüler*innen verbracht haben, so viel von ihnen lernen durfte.“ (Margit Prünner, TU Wien)
 
„Allgemein hat sich gezeigt, dass es nicht die Sichtweisen oder Interessen „der Kinder“ gibt und daher auch keine „Planung für Kinder“. Zum Beispiel macht es einen entscheidenden Unterschied bei der Freizeitgestaltung und Grätzelwahrnehmung der Kinder ob diese mit dem Auto, unbegleitet mit der Straßenbahn oder zu Fuss, bzw. mit dem Roller in die Schule kommen (können), oder ob, wo und wie sie nachmittags betreut werden. Das Forschen mit den Kindern hat mir gezeigt, dass es sich lohnt zu versuchen deren Perspektive einzunehmen und ihnen zuzuhören.“ (Clemens Lippl, TU Wien)

Die Ausstellung

Vom 12. bis 17.3.2019 waren im Rahmen einer Ausstellung im Volkskundemuseum die Forschungsergebnisse zu sehen.

Ausstellungsansicht

Das Projekt wurde durch die Stadt Wien, Magistratsabteilung 17, Integration und Diversität finanziell unterstützt.
Das österreichische Museum für Volkskunde hat ihre Ausstellungsräume für die Ausstellung zur Verfügung gestellt.

Beteiligte und Teilnehmer*innen:

Neue Offene Mittelschule Pfeilgasse 42b — Clara John, Martina Dedic
Volksschule Pfeilgasse — Natalja Pinter, Christina Strobl
Jungforscher*innen — Abu, Argjira, Arman, Balázs, Baran, Biljana, Celine, Cindy, Danilo, David, Dilara, Dusan, Ela, Emely, Emily, Emina, Filip, Hamed, Hazem, Huzaifa, Ion, Ionela, Isa, Ivana, Karim, Konstantyn, Luka, Maram, Maruan, Maryam, Medinenur, Michael, Milos, Mina, Mohammed, Natascha, Nivi, Obada, Pauline, Seada, Sofie, Sofija, Zeynab
Technische Universität Wien, Forschungsbereich Soziologie — Korinna Lindinger, Julia-Maria Daraban, Aurélie Karlinger, Karin Kienast, Stefanie Kristen, Katharina Leeb, Clemens Lippl, Silva Maringele, Marion Müller, Margit Prünner, Lena Schartmüller
Akademie der bildenden Künste Wien, Institut für Kunst und Architektur— Antje Lehn, Iklim Dogan, Gloria Hinterleitner, Nathalie Kerst, Brina Meze-Petric, Anne Kathrin Müller, Lars Müller
aap.architekten ­— Franz Ryznar
Forschungszentrum für historische Minderheiten ­— Regina Wonisch

Fotos: Antje Lehn